VON KATJA GOLL
Der WHO-Bericht „The World Report on Hearing“ prognostiziert, dass im Jahr 2050 bis zu 2,5 Milliarden Menschen von Schwerhörigkeit betroffen sein werden. In Deutschland zählen laut Euro-Trak-Studie 2022 rund elf Prozent der Bevölkerung zu den Betroffenen. Wo liegen die Ursachen, wie kann man das Gehör schützen und welche Hilfen gibt es bei Hörverlust?
Oft sind es Familienangehörige, die Betroffene dazu drängen, die Praxis eines Hals-Nasen-Ohren-Arztes (HNO) aufzusuchen. Oder ein Test zeigt den Hörverlust an. Bislang nutzt nur knapp die Hälfte der Personen mit Hörminderung ein Hörgerät. Dabei gibt es Hilfen, die – sofern ärztlich verordnet – nahezu vollständig von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden.
Der Wahrnehmungsbereich des menschlichen Ohrs liegt im Frequenzbereich von etwa 16 Hertz (Hz) bis 20 Kilohertz (kHz). Die Hörschwelle ist für eine Frequenz von 2 kHz bei gesundem Hörvermögen mit 0 Dezibel (dB) definiert.
Die Dezibelskala ist nicht linear, sondern logarithmisch und bezieht sich auf die Wahrnehmung des Menschen. So ist ein Rockkonzert mit einem Schallpegel von 120 dB nicht doppelt so laut wie ein Gespräch mit 60 dB, sondern um ein Vielfaches lauter.
Bei 130 dB (Presslufthammer) liegt die Schmerzgrenze. Doch treten bleibende Gehörschäden bereits auf, wenn ein Mensch über längere Zeit einem Schalldruckpegel von 85 dB (Verkehrslärm, Baustelle) ausgesetzt ist. Ebenso bei nur kurzer Exposition von 120 dB und mehr
Im besten Fall ist eine Schwerhörigkeit nur vorübergehend, etwa verursacht durch einen Ohrenschmalzpropf. Ein solcher Fall lässt sich in einer HNO-Praxis schnell durch einen Blick in den Gehörgang abklären. Aber auch Infektionen oder Tumore können einen Hörverlust verursachen. Deshalb sollte ein Arztbesuch nicht auf die lange Bank geschoben werden. Ein plötzlicher Hörverlust durch Hörsturz oder Knalltrauma verlangt ebenfalls rasch eine ärztliche Behandlung.
In den allermeisten Fällen aber sei der Hörverlust ein schleichender Prozess, sagt Tim Eisele, Hörakustikmeister der Firma Schütt in Ludwigsburg.
„Bereits ab dem 20. Lebensjahr nimmt das Hörvermögen ab. In der Regel bemerkt man davon weitere 20 bis 30 Jahre lang nichts. Es sei denn, man ist dauerhaft Lärmbelastungen ausgesetzt.“
Durch Lärm werden die Haarsinneszellen im Innenohr beansprucht. Die Haarzellen, die durch länger anhaltende oder auch kurzzeitig sehr hohe Lärmbelastung zerstört wurden, sind nicht mehr zu heilen, und es kommt zu irreversiblen Hörverlusten. Ob Straßenlärm, ein hoher Lärmpegel im Arbeitsumfeld oder im Fußballstadion – entscheidend sind der Pegel sowie die Dauer des Lärms.
Ab einem Schallpegel von 85 Dezibel (dB) im Arbeitsumfeld muss daher ein Gehörschutz getragen werden. Der Hörakustiker empfiehlt auch im Freizeitbereich einen Gehörschutz zu tragen und betont zudem eine ausreichende Regenerationszeit: „Nach einem Konzert- oder Clubbesuch sollte das Ohr die zwei- bis dreifache Zeit der Belastung Ruhe zur Erholung haben.“ Für Diskotheken gelte ein Grenzwert von 100 dB im Mittel, Konzerte sind oft noch lauter.
Vorsorge zum Schutz des Gehörs ist gesetzlich geregelt. Bei hohen Lärmbelastungen, etwa im Straßenbau, wird oft ein Kapselgehörschutz mit sehr hoher Schalldämmung getragen. Doch auch im Kulturbetrieb, etwa in der Hausordnung des Forums am Schlosspark und der MHP-Arena, spielt das Thema eine Rolle. So werden Veranstalter auf ihre Verpflichtung hingewiesen, auf das Risiko von Gehörschäden durch hohe Schallpegel, zum Beispiel bei Konzerten, aufmerksam gemacht.
Wird es laut, müssen Gehörschutzstöpsel bereitgehalten werden. Neben einfachen Schaumstoffstöpseln gibt es jedoch weitere Varianten. Passgenaue Gehörschutz-Otoplastiken etwa werden im Ohr getragen und können je nach Lärmumgebung mit unterschiedlichen Filtern ausgestattet sein. So besteht die Möglichkeit, Straßenlärm auszublenden und auf diese Weise erholsam schlafen zu können. Es gilt also, das Gehör vor großer und dauerhafter Lärmbelastung zu schützen.
Stellt man aber fest, dass das Piepsen der Spülmaschine kaum noch zu hören ist, man in Gesprächen oft nachfragen muss oder in Räumen mit einer gewissen Geräuschkulisse, etwa in Gaststätten, Verständigungsprobleme hat, sei ein Hörtest angesagt. Auch ein Blick auf die Fernsehlautstärke gebe einen Anhaltspunkt, rät Hörakustikmeister Eisele.
Bei Verdacht auf Hörminderung sollte zeitnah eine HNO-Praxis aufgesucht werden. Wird dort eine Schwerhörigkeit diagnostiziert, bekommen Patienten eine Hörgeräteverordnung, mit der sie sich an einen Hörakustiker ihrer Wahl wenden können, um verschiedene Hörgeräte zu testen. Je nach Auswahl ist für gesetzlich Krankenversicherte eine Zuzahlung von lediglich 20 Euro für das Rezept bis hin zu mehreren tausend Euro für entsprechende Hightech-Geräte nötig.
Die modernen Geräte, die teils komplett im Ohr sitzen und von außen kaum noch wahrgenommen werden, erhöhen die Akzeptanz. Tim Eisele rät:
„Keine falsche Scheu. Ein Hörgerät gehört zum Alltag wie eine Brille.“
Wer zu lange wartet, läuft Gefahr, durch den Hörverlust an kognitiver Leistungsfähigkeit einzubüßen, hat ein erhöhtes Demenzrisiko und isoliert sich häufiger, da die gesellschaftliche Teilhabe erschwert sei. Warte man gar, bis ein schwerer Hörverlust eingetreten ist, könne die Hörfähigkeit von 100 Prozent auch mit dem besten Hörgerät nicht mehr erreicht werden. Zur Prävention wird ein Hörtest ab einem Alter von 50 Jahren empfohlen, Hörakustiker bieten solche Tests oft kostenlos an.
In der Ludwigsburger Innenstadt und teilweise auch in den Stadtteilen sind Experten auf diesem Gebiet ansässig. Eine vollständige Liste aller Anbieter geben die HNO-Ärzte aus.
Mehr Informationen zum Welttag des Hörens gibt es im Internet unter welttag-des-hoerens.de.